Mit den Zielen der Landesregierung unvereinbar: Gewalt gegen Frauen in bayerischen Flüchtlingsunterkünften

Aufruf zur Unterzeichnung von LIA Bayern external

„Gewalt betrifft in manchen ihrer Ausformungen nicht gleichermaßen beide Geschlechter, sondern spezifisch Frauen. Daher gehört zu einer umfassenden Frauenpolitik auch der Schutz von Frauen vor Gewalt in all ihren Erscheinungsformen.“ So heißt es in den einleitenden Worten des bayerischen Sozialministeriums für Arbeit und Familie, Soziales und Integration.
Zeitgleich sind etwa 2000 Frauen in Bayern zwangsweise in so genannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Mit dem noch immer bestehenden Lagerzwang für Flüchtlinge in Bayern werden die persönliche Situation der geflüchteten Frauen und ihre Betroffenheit von Gewalt systematisch ignoriert. Unabhängig von veröffentlichten Studien, die belegen, dass Frauen im Sammellagern in besonderem Maß von Gewalt betroffen sind, ohne Berücksichtigung von dem spezifischen Hilfebedarf z.B. psychologische Therapien oder der Möglichkeit, entsprechende Beratungsstellen aufzusuchen, werden Frauen mit ihren Kindern willkürlich in Gemeinschaftsunterkünfte verteilt und ihrem Schicksal überlassen.
In den Unterkünften sind die Frauen „gewaltbegünstigenden“ Faktoren ausgesetzt, die sich aus der bestehenden rechtlichen Situation ergeben.
Die oftmals bereits in ihren Heimatländern und im Kontext der Flucht viktimisierten und hoch traumatisierten Frauen sind auch in Deutschland in hohem Maße körperlicher (51 %), sexueller (25 %) und psychischer (79 %) Gewalt ausgesetzt. Dabei handelt es sich sowohl um Gewalt durch Beziehungspartner, um Gewalt und rassistische Übergriffe durch Fremde oder kaum bekannte Personen als auch um Übergriffe durch Mitbewohner und Mitbewohnerinnen und Personal in den Wohnheimen und im Kontext der psychosozialen Betreuung und Versorgung (BMFSFJ). Die zwangsweise Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften verunmöglicht oftmals den effektiven Schutz gegen die Gewalt, der die Frauen ausgesetzt sind, weil sie in den Unterkünften völlig isoliert leben und allein aufgrund der Wohnsituation keinerlei Schutzräume bestehen. Sie müssen in Gemeinschaftsküchen kochen, sie müssen Sanitärräume teilen, die häufig nicht einmal abgesperrt werden können, der Zugang zu medizinischer Versorgung ist meistens erheblich eingeschränkt.
Auch der Austausch mit der unmittelbaren Umwelt wird durch die Wohnsituation erschwert, da ein Verlassen der Unterkunft und der nahen Umgebung zum einen aus finanziellen Gründen nicht möglich und zum anderen oft nicht notwendig ist. Frauen verlassen zudem in der Regel seltener als Männer das Lager, oft aus Angst vor Übergriffen. So kommt es beispielsweise vor, dass die Frauen in der Nacht nicht einmal ihre Zimmer verlassen, um ihre Notdurft zu verrichten.
Besonders schwierig ist diese Situation für allein ankommende Frauen, die keinen oder nur wenig Kontakt zu anderen Personen aus ihrem Herkunftsland haben. Für die Kinder der geflüchteten Frauen stellt sich in besonderer Weise die Frage, wie unter solchen Bedingungen das Kindeswohl gewährleistet werden kann. Die belastende Lebenssituation, die fehlende Rückzugsmöglichkeit und die Abhängigkeit produzieren Stress und verunmöglichen eine gesunde und kindgerechte Entwicklung.
Besonders problematisch ist, dass auch psychische, physische und sexualisierte Übergriffe und Grenzverletzungen durch professionelle Helferinnen und Helfer und Beratungs-/Betreuungspersonen in den Wohn- und Übergangsheimen, in Ämtern, Behörden und Hilfseinrichtungen, auf deren Hilfe und Unterstützung die Frauen in besonderer Weise angewiesen sind, keine Seltenheit zu sein scheinen. Dies scheint bislang nur unzureichend bekannt zu sein, vermutlich weil es nur schwer nach außen hin sichtbar wird. Hier besteht eine besondere Fürsorgepflicht auch der staatlichen Instanzen, Frauen vor derartigen Übergriffen zu schützen und Täterinnen und Täter konsequent zur Verantwortung zu ziehen. (BMFSFJ)
Weit über diese „Fürsorgepflicht“ hinaus argumentiert die Frauenbeauftragte der Staatsregierung Emilia Müller: “Das Ziel bayerischer Frauen- und Gleichstellungspolitik ist (….) Frauen und Männer in allen Lebensbereichen ein möglichst hohes Maß an Wahlfreiheit für ihre individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen. Daher müssen in allen Bereichen und auf allen Ebenen die Voraussetzungen für diese Wahlfreiheit geschaffen werden. Der Staat kann nur die Rahmenbedingungen schaffen.“
Wahlfreiheit gehört jedoch definitiv nicht zu der Rahmenbedingung, die für Frauen, die aus ihren Herkunftsländern flüchten mussten, geschaffen wurde. Stattdessen ist ihr Alltag geprägt von Abhängigkeit, Isolation und Gewalt.
Wir fordern die bayerische Staatsregierung aus diesem Grund anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt gegen Frauen explizit auf, ihre eigenen Ziele – nämlich den Schutz von Frauen vor Gewalt und die Schaffung von Wahlfreiheit für eine individuelle Lebensgestaltung – umzusetzen und die Lagerpflicht für Flüchtlinge und insbesondere für die betroffenen Frauen abzuschaffen!

Zur Unterzeichnung lia[at]fluechtlingsrat-bayern[dot]de kontaktieren.

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