Offener Brief von Bewohner*innen der Flüchtlingsunterkunft in Hohenleipisch

Hohenleipisch, 17. Juli 2019

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind BewohnerInnen des Flüchtlingsheims in Hohenleipisch, Brandenburg. Wir schreiben Ihnen, da wir hoffen, dass Sie uns in der entstandenen Situation helfen können. Unser Heim befindet sich direkt im Wald, d.h. wir sind von der Zivilisation abgeschnitten. Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren werktags nur bis 17.30, am Wochenende fahren sie gar nicht und wir müssen im Wald bleiben. Haben wir einmal den letzten Bus verpasst, so müssen wir zu Fuß auf der Landstraße laufen, da es keine Bürgersteige gibt. Die Kinder würden gerne in einem Sportverein mitmachen oder an Freizeitaktivitäten teilnehmen, aber wegen der schlechten Verkehrsanbindung ist das unmöglich. Befreundete Kinder zu besuchen oder einzuladen ist auch nicht möglich. Da der nächste Supermarkt acht Kilometer entfernt ist, müssen wir jedes Mal einen Großeinkauf machen und die schweren Taschen selbst nach Hause tragen. Wir alle leben in sehr alten Gebäuden, es ist sehr dreckig, es gibt Insekten (u.a. Kakerlaken). Es riecht sehr unangenehm und es ist äußerst eng. Im Heim gibt es keine Freizeitmöglichkeiten, um die Langeweile zu vertreiben. Das Leben in diesem Heim erinnert an ein Gefängnis, das keiner verlassen kann.

Seit dem letzten Vorfall hat sich die Situation im Heim noch einmal sehr verändert. Seit dem 7. April 2019 wurde eine Frau aus unserem Heim vermisst. Sie hatte zwei Kinder. Keiner wusste, wo sie war und was aus ihr geworden ist, bis man ihre sterblichen Überreste 200 Meter von unserem Heim entfernt entdeckt hat. Im Juli diesen Jahres wurde uns allen mitgeteilt, dass sie tot und ihre Todesursache unbekannt sei. Wir wissen aber, dass sie getötet wurde, da Rita nicht eine Person, eine Mutter war, die Suizid begangen hätte.

Wir alle sind noch nicht zu uns gekommen, nachdem wir erfahren haben, dass es sie nicht mehr gibt. Wir alle haben sehr viel Angst, hier zu leben, da es auch möglich ist, dass ihr Mörder unter uns im Heim lebt. Abends haben wir Angst, alleine ins Bad oder auf die Toilette zu gehen. Keiner will uns verstehen, unsere aktuelle Situation nachvollziehen. Die SozialarbeiterInnen im Heim trafen die Entscheidung, einen Zaun um das Heimgelände herum bauen zu lassen. Sie denken, damit wären unsere Probleme gelöst. Sie unternehmen alles, damit wir uns wegen unserer Probleme nicht beschweren, damit das Heim nicht geschlossen wird und sie ihre Arbeit nicht verlieren. Wir wollen, dass uns geholfen wird, von diesem schrecklichen Ort wegzuziehen. Keiner von uns braucht riesige Wohnungen im Zentrum der Stadt. Wir wollen einfach nur weg von hier. Wir brauchen eine menschenwürdige Unterbringung.

Als wir aus unseren Heimatländern hierher gekommen sind, hofften wir auf eine gute Zukunft hier in Deutschland. Es ist doch ein demokratisches Land, in dem für jedes Problem eine Entscheidung gefunden werden kann. Wir wussten nicht, dass wir hier in kleinen Zimmern zu mehreren Menschen mitten im Wald leben werden. Viele Menschen wundern sich sehr, warum wir uns in Deutschland nicht integrieren. Die Antwort darauf ist einfach: Wie können Menschen sich integrieren, wenn sie 24 Stunden am Tag im Wald sind? Wie kann man Deutsch lernen, wenn wir keine Deutschen zu Gesicht bekommen und nicht hören, wie sie sprechen? Wie kann man so unmenschlich und gefühllos zu Menschen sein? Warum wirst du als Mensch zweiter Klasse behandelt, wenn du aus einem anderen Land kommst? Warum müssen wir im Wald leben, weil wir Geflüchtete sind? Warum muss jemand überhaupt im Wald leben? Niemand kann uns die Fragen beantworten. Wir hoffen sehr, dass jemand unsere Probleme beachtet und die aktuelle Situation nicht unverändert bleibt. Wir hoffen, dass uns jemand helfen kann.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
In der Hoffnung auf eine schnelle Antwort und Hilfe,
BewohnerInnen des Heims in Hohenleipisch, Brandenburg

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